der FG Komponieren in Ostdeutschland seit 1949
am 28. und 29. März 2014 an der Universität Leipzig und Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn-Bartholdy Leipzig
Das Symposion Musikleben in der DDR – Zwischen Ideologie und Wirklichkeit am 28. und 29. März 2014 galt einem bewusst weit gefassten Rahmenthema. So gab es Raum für Vorträge mit verschiedensten Schwerpunkten: von der Rolle der Musik sowie diverser Musikinstitutionen in der DDR über Komponistenportraits und Untersuchungen zu musiktheoretischen Konzepten bis hin zur Geschichte und Archivierung von DDR-Musikverlagen. Die Vorträge gestalteten vor allem Studierende, Promovierende und Lehrende der Musikwissenschaft. Des Weiteren wurde die Tagung von musikalischen Beiträgen durch Studierende und Dozierende der HMT umrahmt.
Der erste Tag des Symposiums wurde in den Räumen des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Leipzig abgehalten. Nach einer Begrüßung durch die sechs Organisator_innen stellten Aiko Herrmann und Felix Dietze (Leipzig) zunächst die DDR-Arbeitsgruppe des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Leipzig vor. Hierbei handelt es sich um ein Projekt zur Sammlung von Interviews mit Komponist_innen, die den Großteil ihres Lebens in der DDR verbracht haben. Die Interviews sind im Rahmen einer von Bernd Franke (Leipzig) initiierten Seminarreihe Musik der Gegenwart – Komponieren in der DDR entstanden. Es folgte ein Vortrag von Nicole Waitz (Leipzig), die am Beispiel von Ruth Zechlin das widersprüchliche Frauenbild von Komponistinnen in der DDR aufzeigte. Sie verwies auf Ansätze zur Genderforschung im Rahmen der Beschäftigung mit DDR-Musikgeschichte. Felix Dietze (Leipzig) zeigte anhand musikalischer und textlicher Beispiele, welche Schwierigkeiten die DDR-Musikforschung besonders für jüngere Bearbeiter_innen mit sich bringt. Zusammenhänge zwischen politischen Ereignissen, Rezensionen, Werkentstehungen wie auch die Einschätzung einzelner Persönlichkeiten sind heute schwer nachzuvollziehen, gleichzeitig indes ein wichtiger Aspekt, der nicht vernachlässigt werden darf. Julia Kneppe (Leipzig) und Sjur Haga Bringeland (Leipzig) stellten Leben und Werk des Dresdner Komponisten Manfred Weiss vor, der als bekennender Christ in der DDR einem besonderen Spannungsfeld ausgesetzt war. Es folgte ein Vortrag von Aiko Herrmann (Leipzig) über die Gruppe Neue Musik »Hanns Eisler«, die sich 1970 um Burkhard Glaetzner und Friedrich Schenker in Leipzig gegründet hatte und dort zu einem wichtigen Interpreten für Neue Musik aus der DDR und dem Ausland wurde. Der erste Block des Symposions wurde mit drei Sätzen aus Episoden von Gehard Tittel abgeschlossen, vorgetragen auf Akkordeon von Julia Mehlan (Leipzig).
Der zweite Block widmete sich den Musikverlagen der DDR. Thekla Kluttig (Leipzig) stellte den bisher wenig beachteten Bestand von DDR-Musikverlagen des Sächsischen Staatsarchivs – Staatsarchiv Leipzig sowie die Geschichte der Volkseigenen Betriebe Edition Peters und Deutscher Verlag für Musik vor. Christoph Hust (Leipzig) fasste daraufhin die Geschichte des Musikverlages Breitkopf & Härtel nach 1945 zusammen, der wie viele andere namhafte Leipziger Musikverlage ein ›Doppelleben‹ im Westen und Osten Deutschlands führte.
Der zweite Tag des Symposions fand in den Räumlichkeiten der HMT im Dittrichring statt. Nach der Begrüßung durch die Organisator_innen folgte der Beitrag von Bernd Fröde (Rostock) über die Rolle der zeitgenössischen Musik in der Schulmusik der frühen DDR und den damit verbundenen Wandel des stets politisierten Musikunterrichts an Schulen in der DDR. Jonathan Gammert (Mainz) referierte über die Rezeption der Harmonologik – ein musiktheoretisches Konzept, entwickelt von Sigfrid Karg-Elert zu Beginn des 20. Jahrhunderts – durch seine Schüler Fritz Reuter und Paul Schenk. Im Zuge dessen zeigte er auf, inwiefern die Berührungspunkte einer oft hermetisch verstandenen Fachwissenschaft und dem nahezu allumfassenden Anspruch auf staatliche Lenkung von Ästhetik und Wissenschaft auf einer allgemeineren Ebene zugleich Auskunft über die Einbindung musiktheoretischen Gedankenguts in kulturgeschichtliche Zusammenhänge geben. Der erste Block des Tages wurde durch den musikalischen Vortrag von Birgit Polter (Leipzig) abgeschlossen. Sie spielte am Klavier Drei Intermezzi, Guernica von Paul Dessau sowie die Toccata von Peter Herrmann.
Der letzte Block des Symposions widmete sich der Popularmusik. Felicitas Förster (Leipzig) begann mit einem Vortrag zur Entwicklung der Bluesmusik. Sie fokussierte dabei auf die Bedeutung der sogenannten Westsender, der Jugendradiosendung DT64 aus Ost-Berlin, den Handel mit Schallplatten aus dem Westen und besonders die Rolle von Kassetten-Aufnahmen. Der Medienkünstler Thomas Janitzky (Leipzig) stellte das multimediale Projekt Ich-AG-Geige vor, bei dem eine Art Revival der DDR-Band AG-Geige inszeniert wird. Die Lieder der Band werden bearbeitet, wobei ihr »subversiver Geist« in die heutige Zeit übertragen werden soll. Es folgte ein Einblick in die elektronische Musik aus dem DDR-Untergrund anhand von Hörbeispielen und Erläuterungen von Thomas Janitzky und seinem Projektkollegen Sergej Klang (Leipzig). Studierende der Fachrichtung Jazz / Popularmusik beschlossen das Symposium mit der Aufführung von Liedern der ostdeutschen Bands Renft, Feeling B und Engerling.
Das Symposion gab einen breit gefächerten Einblick in die aktuelle musikwissenschaftliche Forschung zum Musikleben in der DDR. Besonders die zahlreichen Vorträge der Studierenden erwiesen sich als informativ und durchdacht. Sie gaben Anstoß für den Austausch zwischen Lehrenden, Studierenden und Zeitzeug_innen. Das Einbeziehen verschiedener (Forschungs-)Generationen scheint ein guter Ansatz für die weitere DDR-Musikforschung sowie für zukünftige Symposien zu sein.
* * *
Freitag, 28. März 2014 – Universität Leipzig
Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig (R. 302, Hörsaal Musikwissenschaft), Städtisches Kaufhaus Neumarkt 9–19, Aufgang E, Raum 302
9:15–9:30 – Begrüßung und Vorstellung des Muwi-DDR-Projekts der Universität Leipzig
9:30–10:10 – Nicole Waitz: Komponistinnen in der DDR
10:10–10:50 – Felix Dietze: Überlegungen zur und Hürden bei der Beschäftigung mit der Musik der DDR. Fragen, Erwartungen, Ausblicke
11:00–11:40 – Sjur Haga Bringeland / Julia Kneppe: Manfred Weiss – zwischen Avantgardismus, sozialistischem Realismus und christlicher Identität
11:40–12:20 – Aiko Herrmann: Gruppe Neue Musik »Hanns Eisler« – Engagement gegen »Dummheit in der Musik« und anderswo
12:20–12:35 – Gerhard Tittel: 3 Sätze aus Episoden (Julia Mehlan, Akkordeon)
14:30–15:10 – Thekla Kluttig: Ein kaum bekannter Schatz – Archivgut von DDR-Musikverlagen im Staatsarchiv Leipzig
15:10–15:50 – Christoph Hust: Der Verlag Breitkopf & Härtel und die Nachkriegszeit in Leipzig
Samstag, 29. März 2014 – HMT Leipzig
Hochschule für Musik und Theater, Dittrichring 21, Musiksalon (D 104)
10:00–10:10 – Begrüßung
10:10–10:50 – Bernd Fröde: Die Rolle der zeitgenössischen Musik in der Schulmusik der frühen DDR
10:50–11:30 – Jonathan Gammert: Harmonologik in der DDR – Anmerkungen zum Verhältnis von Musiktheorie und Ideologie bei den Karg-Elert-Schülern Fritz Reuter und Paul Schenk
11:40–12:00 – Paul Dessau: Drei Intermezzi, Guernica und Peter Herrmann: Toccata (Birgit Polter, Klavier)
14:00–14:40 – Felicitas Förster: Die Bluesbewegung in der DDR: Akteur eines Kulturtransferprozesses
15:30–16:10 – Thomas Janitzky: Dieser Nachhaltigkeitsansatz ist einzigartig — Ich-AG Geige, ein Reenactment (Lecture Performance)
16:20–16:50: Beitrag der HMT-FR Jazz/Popularmusik: Fabian Kuss (Gesang), Arnfried Auge (Gesang), Lukas Growe (Bass), Philipp Theurer (Schlagzeug) – Renft: Liebeslied, Feeling B: Ich such die DDR u. a.
17:00–17:20: Musikbeitrag von Thomas Janitzky
* * *
Organisiert von Felix Dietze, Felicitas Freieck, Aiko Herrmann, Ruoyu Lin, Eva-Maria Meinhardt und Stephan Ziegert.
FG Komponieren in Ostdeutschland seit 1949
Seit den gesellschaftlichen Umbrüchen, welche die friedliche Revolution 1989/90 mit sich brachte, ist das Schaffen vieler Künstler:innen mit DDR-Biographie in mal mehr, mal weniger vollständige Vergessenheit geraten – aus den vielfältigsten Gründen. In dieser Forschungsgruppe beschäftigen wir uns seit mehreren Jahren mit der erstaunlichen Fülle und stilistischen Vielfalt an Musik, die in der DDR und den heutigen Neuen Bundesländern entstanden ist und weiter entsteht. Dabei liegt unser Fokus bisher vor allem auf der sogenannten „Neuen Musik“ bzw. der „zeitgenössischen Klassik“ im weitesten Sinne, ihre wechselhafte Stellung in der Kulturpolitik und die ästhetischen Entwicklungen, die sich über die 40 Jahre und die Nachwendezeit teils bis heute beobachten lassen. Dabei stellen sich spannende Fragen zur Problematik der künstlerischen Freiheit und der vielfältigen Strategien und Zwiespältigkeiten im Umgang mit politischen Gegebenheiten und Lebensrealitäten, aber auch zu Position und Interaktion der Komponist:innen und Musiker:innen im innerdeutschen, internationalen und musikhistorischen Kontext. Neben Literatur- & Quellenrecherche, Repertoire-Erkundung und einzelnen werkanalytischen Betrachtungen spielen bei unserer Beschäftigung mit diesen Themen nicht zuletzt auch Zeitzeugengespräche eine wichtige Rolle.
Aiko Herrmann & Felix Dietze
Schreibe einen Kommentar