Das alljährliche DVSM Symposium war schon immer eine der wichtigsten Maßnahmen des Vereins. Nicht nur bieten diese Symposien Studierenden die Möglichkeit, das Geschehen auf einer Tagung in einem geschützten Rahmen zu ›üben‹, sondern es war immer auch eine Chance, Kontakte zu knüpfen und – eines unserer wichtigsten Ziele – den Nachwuchs zu vernetzen. 2021 ist zudem das ›inoffizielle‹ Jubiläum des DVSM. Im Jahr 1991 schlossen sich zum ersten Mal Studierende mit der Idee eines Dachverbandes der Studierenden der Musikwissenschaft zusammen, um Nachwuchs-Symposien zu organisieren und studentische Aktivitäten zu fördern. Das wollen wir zum Anlass nehmen und selbst ein kleines Jubiläums-Symposium im digitalen Raum zu organisieren.
Thematisch behandelt das Symposium musikalische und musikwissenschaftliche Schulen und ihre inhärenten Dynamiken. Wissenschaftliche Schulen sind in verschiedenen Disziplinen keine Seltenheit: So gibt es etwa die Bielefelder (Geschichtswissenschaften), die Kölner (Soziologie), die Frankfurter (Philosophie) oder die Konstanzer Schule (Literaturwissenschaft). In Musik und Musikwissenschaft verbergen sich hinter »Wiener Schule« sogar (mindestens) drei Gruppierungen, etwa die um Arnold Schönberg oder die Wiener Schule der Vergleichenden Musikwissenschaft. Auch schon im 16. Jahrhundert bildeten sich künstlerische Felder um bestimmte Einzelpersonen, zum Beispiel um den vielfach zitierten „Palestrina-Stil“. Aber nicht nur um singuläre Persönlichkeiten, sondern auch auf transnationaler Ebene bilden sich im Rahmen des praktischen Musizierens und von künstlerisch-pädagogischen Studiengängen sogenannte „nationale“ Schulen, etwa die Russische Klavierschule oder die Italienische Vokalschule. In vielen Musikkulturen spielt der Unterricht durch ›Lehrmeister:innen‹ aufgrund einer rein oralen Tradierung zudem eine besondere Rolle.
Seit der zunehmenden Institutionalisierung des Fachs lassen sich auch einige Schul-Tendenzen in der Musikwissenschaft beobachten: Unter Hermann Abert versammelten sich im Berlin der 1920er viele später äußerst einflussreiche Wissenschaftler, wie etwa Friedrich Blume oder Rudolf Gerber. Ein weiteres Beispiel könnten etwa ehemalige Professoren der Humboldt Universität Berlin sein, wo mit Peter Wicke (Populäre Musik), Hermann Danuser (Historische Musikwissenschaft) und Christian Kaden (Musiksoziologie) jeder auf seinem Gebiet maßgebliche Impulse setzen und daher möglicherweise auch eigene ›Schulen‹ ausbilden konnte. Auch in den USA sei die „critical music theory“ von Susan McClary erwähnt, die die Frage nach Gender-Perspektiven in der Musikwissenschaft anstieß.
Bei solchen »Schulen« gruppieren sich also Schüler:innen um einen oder mehrere ›Lehrmeister:innen‹ (Komponist:innen/Professor:innen) – oft an einen Ort, eine Universität oder ein Institut gebunden. Die Mitglieder orientieren und identifizieren sich an/mit der Vorbilds-Figur, ideologisch und ggf. in ihrer Lebensweise, idealisieren oder ›vergöttern‹ sie sogar. Sie verschreiben sich etwa einer gemeinsamen Ästhetik oder einer zentralen Kompositionstechnik, einer wissenschaftlichen Methodik oder einem theoretischen Überbau und werden bisweilen auch sozial zu einer eingeschworenen Gruppe, die sich abgrenzt und gegenüber anderen durchzusetzen versucht. In der Rezeption wirkte sich die Existenz solcher Schulen sehr stark darauf aus, wie der Kanon in der Musikgeschichte, musikwissenschaftlichen und künstlerisch-pädagogischen Ausbildungsstätten entsteht und gepflegt wird.
Das Thema ist entsprechend offen für musikanalytische, -soziologische, -ethnologische, -pädagogische, (fach-)geschichtliche oder genderspezifische Fragestellungen, etwa:
- Welche »Schulen« gibt es in der Musikwissenschaft und in der Musik? Wodurch zeichnen sich Schulen aus? Welche Strukturen haben sie? Folgen sie einer bestimmten Ästhetik, einer Theorie, haben sie ein bestimmtes methodisches Vorgehen oder setzen sie sich auf eine besondere Weise sozial zusammen?
- Wie lassen sich Schulen und Schulbildungsprozesse analysieren? Lässt sich aufzeigen, dass eine Komponistin oder ein Musikwissenschaftler Schüler:in von einer bestimmten Lehrerin oder einem ›Meister‹ war?
- Welche Dynamiken und ggf. kritischen Konsequenzen bringen solche Schulen mit sich und wie ist aus ideologiekritischer Perspektiven mit ihnen umzugehen? Welche Rollen spielen sie beispielsweise bei der Kanonisierung von Wissen? Können aus solchen Schulen regelrechte ›Dynastien‹ entstehen?
- Wie wirken sich Schulen und daraus ggf. entstehende Machtgefälle bei der Karriereplanung von Nachwuchswissenschaftler:innen aus? Welche Rolle spielen Geschlechteridentitäten bei der Schulenbildung? Wie oft und welche Frauen agieren in der Geschichte des Faches als „Meisterinnen“? Welche intersektionalen Aspekte spielen bei der Schulenbildung eine Rolle?
- Wie wird in solchen Schulen unterrichtet? Inwiefern sind bestimmte Unterrichtsmethoden konstitutiv für eine Schule? Welche Rolle spielt der Unterricht bei der Findung einer gemeinsamen Identität, bzw. wie kann er dazu dienen, den Schüler:innen eine Ideologie zu vermitteln?
Diesen und anderen Fragen wollen wir mit Euch zusammen nachgehen und diskutieren. Die Tagung ist offen für Studierende aller Qualifikationsstufen bis zur Promotion (insofern die Promotion erst kürzlich erfolgte). Sendet einen kurzen Abstract mit der Anmerkung zum Format, in dem ihr euer Thema vorstellt (500 Wörter) und eine Kurzbiographie (150 Wörter) bis zum 21.06.2021 an vorstand @ dvsm-verband.de. Studierende, die sich noch in einer frühen Phase ihres Studiums befinden, sind besonders zur Teilnahme aufgerufen und können auf Wunsch Feedback zu ihrem Abstract erhalten
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